HOME
home · 2002 · Hamburg-Marathon

Ute jagt Dieter Baumann
oder: 42.195 km durch Hamburg

Hamburg-Marathon
21. April 2002

Schnell wie nie kommt dieses Jahr der 21. April näher. Der Tag, an dem ich einen Marathon laufen werde.

Seit Mittwoch hatte ich nicht mehr richtig gut geschlafen. Am Samstagmorgen bin schon ziemlich nervös. Der Lufthansa-Mitarbeiter mit spanischem Namen am Check-in sagt, die Maschine sei ausnahmsweise voll. "In Hamburg ist morgen ein Marrathoon. Gehen Sie auch zum Marrathoon?" Ich bejahe und er wünscht mir viel Spaß.

Am Gate outen sich die Marathonis durch kleine Insiderzeichen: Die Turnschuhe an ihren Füßen stammen von der Firma Asics, ihre Armbanduhren von Polar oder Nike. Während des Fluges schenkt die Stewardess auffällig viel Apfelschorle aus. Kaffee wird praktisch nicht verlangt.

"Ich glaube ich habe ne Adrenalinvergiftung," sage ich meiner Trainingspartnerin Evelyne, die mich in Hamburg am Flughafen abholt.

Wir bringen unser Gepäck nach Eimsbüttel zu Franziska, einer Bekannten von Evelyne, bei der wir schlafen werden und fahren zur Marathonmesse, die Formalitäten erledigen. Das Abholen der Unterlagen geht ganz schnell, auf die große Marathon-Messe haben wir aber keine rechte Lust.

Um 14.30 Uhr ist das Treffen der Forumsteilnehmer von www.lauftreff.de. Es ist nett, die Gesichter hinter einigen der Namen kennen zu lernen.

Es ist saukalt in Hamburg. Am Sonntag soll es besser werden. Die Hanseaten sitzen trotzdem auch am Samstag draußen vor den Cafés. Unglaublich.

So langsam bin ich nicht nur nervös, ich fange auch an zu frösteln. Ich fühle mich gar nicht gut. Ehrlich gesagt, ich fühle mich total krank! Ich kehre frierend und mit Gelenkschmerzen zu unserer Gastgeberin zurück. Am liebsten gleich ins Bett....

Stattdessen erfahre ich, dass noch 10 Leute zu einer privaten Pasta-Party eingeladen sind. In einer 2-Zimmerwohnung!! Ich lasse mir ein Aspirin geben und fange tapfer an, Gemüse für die Sauce zu schnippeln.

Es wird dann doch ein guter Abend. Das Aspirin und ein dicker Fleece-Pulli helfen mir und die supersportlichen Gäste (eine halbe Triathlon-Damenmannschaft ist samt Trainer erschienen) tun ihr übriges.

Hab ich die letzte Nacht überhaupt geschlafen? Morgens um 6 Uhr zeigt das Außenthermometer 4°. Aber es ist windstill und Wolken sind hinter dem Morgendunst auch nicht zu sehen. Ich schlüpfe mutig in meine kurze Rennhose und ein T-Shirt und bin froh, dass ich eine uralte Jogginghose und ein altes Sweatshirt dabei habe. Wenn es sein muss, laufe ich in den Sachen bis ins Ziel!

Wie zwei Häufchen Elend sitzen Evelyne und ich am Frühstückstisch. Ich habe eine Portion Ultra Starter, ein flüssiges Wettkampffrühstück, angerührt, das rutscht noch ganz gut. Die von Franziska bereitgelegte Banane muss ich schon runterzwingen und vom klitzekleinen Honigbrot schaffe ich nicht mal die Hälfte.

Beim Verlassen des Hauses sehen wir gleich zwei Leute mit Marathon-Kleiderbeuteln. An der U-Bahnstation warten noch einige. Eindeutig, heute ist Marathon-Tag! Wir fahren eine Station "zu weit", bis zum Gänsemarkt und nähern uns dem Start von der anderen Seite. Wir haben noch Zeit uns umzusehen, ach ja, da sind die Lkws, an denen man die Kleiderbeutel abgeben kann und zum ersten mal in meinem Leben benutze ich ein Dixi-Klo.

Bald kommt die Sonne richtig heraus und schon vor dem Start ziehe ich die Überklamotten aus und "entsorge" sie am Straßenrand. Ich bin in Block "C grün" eingeteilt, ganz hinten also. Hubschrauber kreisen über uns, die Spannung steigt, um 9 Uhr ist der Start für die schnellste Startgruppe  und endlich dürfen auch wir los. Gleich nach den Startmatten fallen wir in Laufschritt und ich stelle fest, der Start ist super organisiert. Es gibt keine Gedrängel und kein Geschiebe, das passt wirklich!

Nur knapp langsamer als mein angestrebtes Anfangstempo von 6:40 (min/km) laufe ich los. Allerdings ist mein Puls fast von Anfang an höher als erwartet und erwünscht. In Altona "auf der Chaussee" höre ich hinter mir meinen Namen. Gerade habe ich Lorraine überholt, die Engländerin, die auch gestern Abend auf der Pasta-Party war. Ich ziehe ab Kilometer 5 nicht wie geplant an, beschließe erst mal, bei meinem Tempo zu bleiben. Überhaupt habe ich einen riesen Respekt vor dem, was mich erwartet. Kann ja ab km 30 immer noch schneller werden, denke ich.

Über die Elbchaussee traben wir zurück Richtung Innenstadt. Bei jeder öffentlichen  Grünfläche stürzen sich Läufer in die Büsche, vor jedem Klohäuschen warten mehrere Läuferinnen. Hoffentlich muss ich nicht!!

Am Fischmarkt und der Speicherstadt entlang geht es an die Binnenalster, einmal drum herum und über die Kennedybrücke an die Außenalster. Der Sieger ist jetzt schon im Ziel, auf der anderen Seite der Alster hören wir das Publikum jubeln, wir sind noch nicht mal bei km 19.

Bei km 20 singen drei Jungs "You never walk alone". Ich denke an Christians mail und an die ganzen Leute, die mir persönlich, telefonisch, per mail und SMS Glück gewünscht haben. Bevor mich die Rührung übermannt, muss ich lachen, die drei singen einfach entsetzlich falsch.

Bei km 23 fallen mir zwei Läufer auf, die schon geraume Zeit vor mir her traben. Ein Mann in den Sechziger, Typ "Lauftreffleiter der schon seit den 70er Jahren dem Waldlauf huldigt" und ein Frau in den Fünfzigern. An die hänge ich mich dran!

Im Laufe der nächsten 17 km stellt sich heraus, dass die Frau eigentlich eine alte Bekannte ist. Jutta stammt aus Ötlingen, dem kleine Ort bei Kirchheim, in dem ich letztes Jahr am Dreikönigstag meinen ersten Volkslauf bestritt und war auch damals dabei! Und sie war auch dieses Frühjahr beim Halbmarathon in Schwäbisch Gmünd. Ich schaue sie an und frage: "Warst du nicht diejenige, die mich in der Umkleide nach meinem Sport BH gefragt hat?" Nicht zu fassen, sie ist es!

Ich halte mein Tempo und wie vorhergesagt überhole ich ab km 25 nur noch. Das Stück zwischen km 25 und km 30 ist das zäheste der ganzen Strecke, wenn man irgendetwas an diesem Lauf überhaupt "zäh" nennen kann.

Km 30, jetzt wird es spannend. Noch 500 m, dann betrete ich absolutes Neuland. Was wird passieren? Ein plötzlicher Einbruch? Die gefüchtete Stoffwechselumstellung, der berühmte "Mann mit dem Hammer"?? Es passiert - nichts! Allerdings, eine Tempoverschärfung ist nun auch nicht mehr in meinem Sinn. Also immer weiter im gleichen Trab, ich habe das Gefühl als seien meine Beine unabhängig von meinem restlichen Körper, ich werde geradezu transportiert. Auch die Frage "was tue ich hier eigentlich", die mich sonst bei jedem Wettkampf befällt, kommt nicht auf.

Km 31, wir laufen am S-Bahnhof Ohlsdorf vorbei, ab jetzt geht es direkt Richtung Ziel.

Bei km 32 holt Juttas Begleiter Hans eine von drei Halbliterflaschen Cola aus seinem Rucksack. Auch ich kriege jetzt regelmäßig einen Schluck. Das Kohlenhydratgel, das ich dabeihabe, bleibt unberührt. Was habe ich mich und alle anderen verrückt gemacht, wie ich das am besten transportiere und jetzt nehme ich es nicht!!

Jutta ist supergut drauf. Jedes Kilometerschild wird mit einem begeisterten "Guck, scho wieder a Killomeeter-Däfele!!" begrüßt. Ich hoffe für die müden Gestalten, die wir unablässig überholen, dass sie es nicht verstehen!

Km 35, aha Eppendorf. Die vielbeschriebene Gasse zwischen den Zuschauerreihen. Die sind aber vom stundenlang jubeln ein bisschen müde und die enge Gasse nervt. Sie macht das Überholen so mühsam! Ich laufe immer noch sauber. Kein schlurfen und auch mein altes Übel, dass ich mit dem Fuß am Knöchel des anderen Beins streife, tritt nicht auf.

Schon wieder die Alster und dann der letzte Verpflegungspunkt. Jutta und Hans rennen auf und davon - egal.

Wo bleibt denn der von Andreas Hünerberg im internet beschriebene Anstieg zum Schluss? Keine Ahnung, aber der letzte km zieht sich wie immer. Aber dann - da vorne, km 42! Ich gebe nochmal Gas und bin gleich darauf im Ziel.

Dort von Euphorie keine Spur. Ich freue mich, dass ich gut durchgekommen bin, aber das ist auch schon alles. Also süchtig nach Marathon werde ich bestimmt nicht! Oder liegt es daran, dass ich meine "Traumzeit" von 4:30 nicht geschafft habe? Immerhin bin ich mit 4:41 mehrere Minuten unter meiner Schätzung bei der Anmeldung im Januar geblieben! Und ich bin sehr gleichmäßig gelaufen, bis auf Hunderstel Sekunden habe ich für die zweite Hälfte genauso lange gebraucht, wie für die erste.
 
  © 2005 · Ute Pfaff · Emailemail senden