HOME
home · 2002 · München-Marathon

München-Marathon
13. Oktober 2002

München 2002 - mein zweiter Marathon und wieder hab ich die 4 Stunden 30 verpasst. In Hamburg aus Vorsicht, in München aus Unvorsicht.
 
Dabei waren die Chancen auf einen genussreichen zweiten Marathon gar nicht schlecht. Die 4:30 waren realistisch, 4:25 wären mein Traum gewesen. Die Tage vor dem Marathon waren wesentlich entspannter als vor Hamburg. Im April hatte ich schon tagelang vorher schlecht geschlafen und das Essen hatte auch nicht mehr recht geschmeckt. Die einzigen Wermutstropfen waren dieses mal ein leichter Muskelfaserriss in der rechten Wade, beim Wandern am 3. Oktober zugezogen! Tat inzwischen überhaupt nicht mehr weh, aber würde die Wade "halten"? und die Wetteraussichten für den Sonntag. Je nach Quelle wurden 10° und trocken oder aber 7° und Regen prophezeit.
 
Bei der Anreise  am Samstagnachmittag fing es hinter Ulm prompt an zu regnen. Dank Unterkunft bei Schwester Susi waren Mann und Mäuse dabei und als wir die Startunterlagen im Olympiapark abholten war es schon dunkel und unwirtlich. Dafür war die Abholung bestens organisiert, fix die Unterlagen geholt, noch ein kurzer Bummel über den Marathonmarkt und dann zu Susi, wo schon das Abendessen wartete.
 
Beim Frühstück am Sonntagmorgen um 6 hatte ich dann doch einen flauen Magen und ich war froh, dank zwei Portionen Trinkfrühstück nicht viel Festes zu mir nehmen zu müssen und trotzdem ordentlich Kalorien zu bunkern. Weder Schwester noch Schwager noch Mann hatten Lust, zu so früher Stunde aufzustehen geschweige, mich zur S-Bahn zu bringen, so "durfte" ich Thomas' Auto leihen und selbst fahren. Es war stockdunkel, es regnete, auf den Straßen kein Mensch und kaum ein anderes Auto. Doch an der S-Bahn standen schon zwei andere mit Sporttaschen und Vorfreude machte sich bei mir breit.
 
Einer der beiden saß in der Bahn ganz in meiner Nähe. Er schaute auf den Startnummer-Aufkleber auf meiner Tasche und zog dann die Startertüte aus seiner Tasche. Sah aus, als hätte er sie vorher noch nicht geöffnet. Jetzt klebte er seine Nummer auf seine Tasche, 7029, und beguckte dann interessiert meine Schuhe. Er zog seinen Zeitmess-Chip aus der Tasche und ein Paar nagelneue Laufschuhe. "Einfach mit dem Schnürsenkel befestigen?" fragte er mich. Ja, sagte ich und dachte, das ist sicher so ein junger Hirsch, der heute mit minimalem Training und null Ahnung auf Anhieb unter 3 Stunden 30 läuft.
 
Die S-Bahn füllt sich zusehends und gemeinsam steigen wir um und noch mal um und von der Haltestelle "Olympiazentrum" zum Stadion muss man den Weg nicht kennen, um ihn zu finden. Dort treffe ich ein paar andere von unserem Lauftreff, wir machen die üblichen nervösen Witze und Frank macht ein paar Fotos für unsere Homepage.
 
Jetzt kommt die Stunde der Entscheidung in Sachen Kleidung. Es regnet hier nicht und sieht trotz dichter Wolkendecke auch nicht danach aus. Also kurze Hose. Und sonst? Kurzarmshirt, Langarmshirt, Weste??? Ich schlüpfe zuerst ins Langarmshirt, Weste drüber, aber das ist ja schon beim Rumstehen so angenehm, das wird später sicher zu warm. Also wieder runter mit dem Ding, Kurzarmshirt an, immerhin hab ich ja auch Handschuhe dabei, Weste drüber, wird schon passen. Tasche endlich abgeben und auf zum Start. Dem nähere ich mich von der Laufstrecken-Seite her und sehe schnell, da ist kein Durchkommen mehr nach hinten, in "meinen"  Startblock. Ich stelle mich ganz an die Seite und warte ab. Erst als der 4:15 -Pacer deutlich vorbei gezogen ist, reihe ich mich ein.
 
Ich hab kein rechtes Gefühl für's Tempo, trabe locker mit, hoppla, schon der erste Kilometer vorbei: 5 Minuten 50!  Aber halt, ich wollte mit 6:30 loslaufen, jetzt heißt es Bremse ziehen. Den nächsten Kilometer laufe ich in 6:05, also noch langsamer laufen - km 3 dann 5:52. Dabei fühlt sich das unglaublich mühelos an, kein Wunder nach einer Woche Zwangspause wegen der Wade!! so mühelos, dass mein Verstand versagt. Ich laufe erst mal nur wenig langsamer als 6:00 weiter. Ein verführerisches Stimmchen in meinem Kopf flüstert "Vielleicht traust Du Dir zu wenig zu? Warum nur 4:30 wenn Du 4:15 haben kannst??" Die Vernunftecke piepst leise "Du wirst schon sehen, was Du davon hast" bevor sie schweigt...
 
Natürlich geht das erstmal gut. Noch vor dem Königsplatz lerne ich Constanze kennen, die das gleiche Tempo und heute ihren ersten Marathon läuft. Ab jetzt laufen wir zusammen. Die Sonne kommt raus und es wird zwischendurch richtig warm. Ich schlüpfe aus der Weste und lasse diese über mein Startnummernband runterhängen. Constanze ist Münchnerin und erklärt mir zwischendurch, wo wir gerade sind und welche Sehenswürdigkeiten am Straßenrand stehen. Die Zeit vergeht im Flug, 15 km sind rum wie nichts. Doch dann ist es so langsam vorbei mit dem 6er Schnitt. Nicht nur bei mir, auch Constanze wird  langsamer.
 
Kilometer 19. Schmerzhaft und völlig überraschend meldet sich mein linkes Knie. Was mach ich denn jetzt? Ich beschließe, dass Schmerz nicht nur kommt sondern auch geht und fordere den Knieschmerz auf, sich wieder zu verflüchtigen. Vor der Verpflegungsstelle bei km 20 drücke ich mir eine Tüte Gel rein und gehe durch die Verpflegungsstelle, um auch ordentlich Wasser nachzugießen und um zu sehen, ob's vielleicht dem Knie hilft. Es hilft dem Knie nicht. Soll ich das zum Grund nehmen, aufzugeben? Hätte sicher jeder Verständnis dafür. Also, einen Kilometer laufe ich noch, und noch einen. Also gut, bis zur nächsten Versorgungsstelle. Tempomäßig sind wir inzwischen bei höchstens 6:25 angelangt und haben doch gerade erst die Hälfte. Schuld daran ist nicht das Knie... Die Stimme der Vernunft melde sich hämisch wieder zu Wort "Hab ich's nicht gesagt!!"
 
Dann aber hat meine Gesundbeterei "Komm Schmerz, belästige doch den Typ da vorne zur Abwechslung!!" tatsächlich Erfolg. Das Knie tut nicht mehr weh und das baut mich kurzfristig auf. Trotzdem werden wir immer langsamer und ich nutze jetzt jede Verpflegungsstelle für eine kleine Gehpause, vorgeblich um kein Wasser oder Isostar zu verschütten aber ehrlicherweise treffe ich sonst selbst bei Tempo 5:30 zielsicher in den Mund...
 
Im Englischen Garten noch vor Kilometer 30 überholen wir einen, der geht und der mir bekannt vorkommt. Der "junge Hirsch" aus der S-Bahn. Er taucht dann auch später nicht in der Ergebnisliste auf.
 
Ich ziehe Weste und Handschuhe wieder an und  hangle mich von Kilometer zu Kilometer. Gehpause zwischendurch? Besser nicht, womöglich höre ich damit nicht mehr auf. Ich versuche, mich abzulenken, denke an den Entwurf, der am Montag fertig werden muss und noch ein kniffliges  Eck hat. Wie war das gleich laut Uta Pippig: "Zum Marathonlaufen braucht man nur ein Problem und Zeit". Ich löse das Problem, der Lauf ist dadurch noch nicht vorbei.
 
Nur ab und zu überholen wir einen. Kein Vergleich zu Hamburg, wo ich die Leute gleich im Dutzend "eingesammelt" habe.
 
Der elende Englische Garten zieht sich wie Kaugummi. Kilometer 35, ich dehne die Gehpause an der Versorgungsstelle weidlich aus. Aber jetzt haben wir endlich den Englischen Garten geschafft, die Strecke wird wieder abwechslungsreicher. Wasserstelle bei Kilometer 37,5. Ich laufe durch und beschließe, die Gehpausen an den Versorgungsstellen sein zu lassen. Mindert nicht die Müdigkeit, mindert nur die Moral. Bringt nichts außer lausigen Kilometerzeiten. Ich gebe mir nochmal richtig Mühe, Aufrichten, Kopf hoch, Tempo ein bisschen anziehen. Tatsächlich werden meine Zeiten wieder ein bisschen besser, das tut gut!
 
Kilometer 39, es sticht jämmerlich am rechten "Ringzeh". Au weia, da hat sich sicher ein Nagel verabschiedet. Ignorieren!!  Erstaunlicherweise kann ich immer noch rechnen und mir wird klar, dass ich die 4:30 vergessen kann.
 
Bei km 40 gibt es Red Bull. Ich nehme ein paar Schlucke. Schmeckt gar nicht so übel. Flügel verleiht es aber keineswegs. Gleich nach einer Kurve Kilometer 41. 42 ist dann schon im Stadion.  Hinein geht es durch's Marathontor. Der Höhepunkt des Laufs?  Na ja, ich bringe die letzten 300 m auf der entsetzlich klebrigen Tartanbahn irgendwie hinter mich, was mein Mann auf den Zuschauersitzen wohl so kommentiert "Sieh sie Dir nur an. Sie ist ja völlig fertig!!"
 
4:31:40 zeigt meine Uhr. Endlich angekommen. Ich wandere im Innenraum ein bisschen herum, trinken, ein paar Äpfel nehmen. Meine Familie kommt die Zuschauerreihen herunter, zusammen gehen wir raus. Meine kleine Nichte (2 ½)  plärrt "Ich will auch rennen!" Danke, Du liebes Kind! Wenigstens einer, der das, was ich zum Schluss geboten habe, noch als "rennen" bezeichnet.
 
Wieder war es nichts mit Euphorie im Ziel. Aber ich bin tief befriedigt. Hab allen Verlockungen ab km 20 aufzugeben oder zu gehen widerstanden, die ganzen restlichen 22 km lang. Und ich schwöre mir, dass ich nie wieder so über meine Verhältnisse anlaufen werde. Denn wie gut sich ein gleichmäßiger Lauf anfühlt, das weiß ich aus Hamburg.
 
Dafür fühlen sich meine Beine besser an als im April. Treppauf. treppab, nach einer kurzen Erholungspause mit heißer Dusche und frischen Kleidern gar kein Problem! Und der Gedanke, vielleicht doch noch diesen Herbst einen 10er zu laufen erscheint gar nicht so abwegig...
 
  © 2005 · Ute Pfaff · Emailemail senden