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home · 2005 · 24h Köln

Alles oder nichts - im Land der Dilledöppchen

17./12. 24h/48h Lauf Köln
15.-17. Juli 2005

In Köln wird, ein wenig nördlich der Innenstadt, direkt am Rhein auf einem schattigen Pendelkurs schon seit vielen Jahren der Sri Chinmoy Lauf veranstaltet. Die 48er beginnen am Freitagmittag, am Samstagmittag folgen die 24er, am Sonntagmittag ist für alle gemeinsam Schluss.

Als ich am Niederländer Ufer ankomme, sind die 48er schon unterwegs, eine überschaubare Gruppe von 37 Teilnehmern. Erst mal nach Bekannten Ausschau halten. Auf einer 1,5 km Runde dauert es nicht lange, bis nach und nach jeder einmal vorbei ist. Ein paar Läufer sind extrem schnell wieder da. Ich bin verblüfft, wie das manche Leute angehen. Ein 5er Schnitt oder gar schneller ist es, was da ein Franzose und ein Pole vorlegen.

Am einen Ende des Pendelkurses ist die Verpflegungsstation. Außer dem reichhaltigen Buffet, für das die Sri Chinmoy Veranstaltungen berühmt sind und das so manch anderem Lauf inzwischen als Messlatte dient, gibt es dreimal am Tag „Essen“. Mittags und abends wird gekocht, morgens gibt es Frühstück. Nachts gibt es zusätzlich Pellkartoffeln. Das Essen ist „natürlich“ vegetarisch, Alkohol wird auch nicht angeboten, aber sonstige „Drogen“ sind erlaubt: Kaffee und Cola stehen da, auch alkoholfreies Kölsch.

Am anderen Ende des Pendelkurses dann die Zählstation. Jeder Zähler betreut nur wenige Läufer und hat vor sich einen Zettel zum notieren der Rundenzeiten sowie einen Block mit umklappbaren Zahlen, die bei jedem durchlaufen aktualisiert werden und  jedem den aktuellen km-Stand anzeigen, gegenüber eine große Digitaluhr. Da steht auch das Leader-Board, auf dem nach einiger Zeit die führenden sieben Männer und Frauen verzeichnet werden und das ständig aktualisiert wird. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man das perfekter machen kann.

Zwischen den Sri Chinmoy Anhängern, die aus der ganze Republik und auch aus Österreich und der Schweiz zum helfen angereist sind, sitzen Conny und Sigi Bullig und zählen auch. Conny hat Ärger mit dem Rücken, so viel laufen ist derzeit für sie noch zuriskant und so sind die beiden zur Unterstützung angereist. Und für ein Schwätzchen natürlich gleich zu haben!

Jetzt noch die Duschen im nahegelegenen Hockey- und Tennisclub inspizieren. Der Weg dorthin ist wenig frequentiert und führt durch dichtes Gebüsch, hm, also in der Dunkelheit mag ich da später nicht alleine rumlaufen.

Auf dem Weg zurück zur rasant wachsenden Zeltstadt am Rande der Strecke kriege ich einen ersten Vorgeschmack auf die mir bislang unbekannte aber berühmt-berüchtigte Musik, die bei SCMT Läufen oft geboten wird. Eine Frau bearbeitet ein Metallophon, dazu etwa sphärische Hintergrundmusik, klingt doch ganz harmonisch.

Ein Kampfrichter vom DLV waltet auch seines Amtes. Er verwarnt den schnellen Polen, weil der sich von einer nicht angemeldeten Frau begleiten lässt. Daraufhin läuft sie eben ein paar Meter weiter auf dem „öffentlichen“ Teil der Promenade hinter dem Trassierband. Das ist an Hütchen befestigt, die säuberlich in die Pflasterfugen genagelt sind, damit sie nicht umfallen oder umgestoßen werden.

Nicht so perfekt ist der Weg selbst. Der Plattenbelag hat sich an so manchen Stellen gehoben und dadurch richtige Stolperfallen. Auch vorhandener Asphalt hat unter den Wurzeln der Alleebäume sichtlich gelitten.

Andere Regeln, auf deren Einhaltung der Mann im gelben Poloshirt dringen könnte, wurden rechtzeitig gekippt. Die in Ultrakreisen heiß diskutierte, oft geduldete, bislang aber nach den IAAF-Regeln verbotene Verwendung von Startnummernbändern und mp3-Playern hat die IAU kürzlich offiziell genehmigt.

Wie im Flug vergeht die Zeit bis zum Samstagmittag, unserem Start. Vorher noch ein Blick auf die 48er. Der Pole ist schon am Freitagabend ausgestiegen, der Franzose konnte sein Tempo und seine Führungsposition nicht halten. Inzwischen ist Wolfgang Schwerk vorne und da wird er mit seiner gleichmässigen Gestaltung auch ungefährdet bleiben. Genauso wie Heike Pawzik bei den Damen.

vor dem Start

Vor dem Start - sieht aus wie Campingurlaub.

Für den 24er sind deutlich mehr Leute angetreten. Schnell noch  mal beim Tennisclub auf ein „richtiges“ Klo, mit der Zählerin bekannt machen und auf ein Hupsignal laufen 44 Männer und 17 Frauen los.

Meine Zählerin zählt auch Ilona Schlegel. Na, da hat sie wenigstens was zu tun! Eigentlich gehört Ilona heute nicht nach Köln, ihrem Leistungsvermögen nach sollte sie heute in Wörschach bei der Weltmeisterschaft sein. Aber weil sie auf die Teilnahme beim Isarlauf bestand, den sie als Zweite beendete, wurde sie vom noch amtierenden Ultrawart der DLV nicht nominiert.

Ich bin ohne Uhr nach Köln gefahren, hab meine Pulsuhr schlicht nicht gefunden. Nach Gefühl zu laufen, scheint mir aber für einen 24er kein Problem und mit der großen Anzeige der offiziellen Uhr weiß ich dann auch so, dass ich für die ersten 5 Runden im Schnitt je 11 Minuten gebraucht habe.

Nach 10 Runden gönne ich mir das Mittagessen. Es gibt Kartoffelbrei mit Tofu und Gemüse. Für die Läufer stehen an der Verpflegung kleine Schälchen bereit, man kann sich aber auch einen richtigen Teller voll an der gut ausgestatteten Feldküche geben lassen. Was ich auch tue und im gehen verspeise, auch wenn mir das den einen oder anderen frechen Kommentar einhandelt.

Der Blick auf den Rhein und die vorbeiziehenden Schiffe ist schön, aber der wahre Reiz einer solchen Pendelstrecke sind eindeutig die anderen Läufer! Man begegnet sich ständig, kann verfolgen wie die anderen grad drauf sind. Ein Scherz, ein Winken, eine kurze Bemerkung. Das wird nicht langweilig.

2:45 „Halbmarathon“ ruft mir meine Zählerin zu. Na, so schnell wollte ich eigentlich nicht sein. Aber egal, ich werde eh nicht toujours gleichmäßig durchlaufen können sondern irgendwie mit den Höhen und Tiefen solch eines langen Laufs arbeiten müssen. Und natürlich wird es zäher, ich gehe viel um die Ermüdung raus zu schieben und nach ca. 5 Stunden fühle ich mich trotzdem schon ziemlich lahm.

Michael kommt von hinten angelaufen. Statt mich mal wieder überrunden zu lassen, ziehe ich an und laufe mit ihm mit. Er hat seine Uhr im Blick, wir laufen einen Schnitt von 6:10 und das schnellere Tempo tut meinen Beinen so gut, dass ich Runde um Runde mitlaufe.

Die Theorie, dass bei müden Beinen auch eine Tempoverschärfung helfen kann, war mir bekannt, die Praxis zu erleben ist beeindruckend. Aber ohne Schrittmacher hätte ich wohl nicht geschafft, mich zu überwinden. Wir unterhalten uns und zwischendurch lästern wir über die Musik. Ein Yamaha-keyboard wird bearbeitet, hm, so eine Mischung aus Kaufhaus und Bar würde ich sagen.

Weiter vorne gibt es eine Squaredance-Gruppe zu betrachten, die mit Musik und Ansager auf der Promenade übt: "circle left, change the ladies". :-) Inzwischen bedauere ich, dass ich meine Uhr nicht dabei habe. Ich hätte gerne gewusst, wie lange dieses Hoch ging. 10 Runden? Mehr?

Zeitweise fühle ich mich, als könnte ich so für immer weiter laufen. Doch natürlich geht das nicht ewig, ich lasse Michael ziehen und werde wieder langsamer. Georg kommentiert später: "Gute Show!" Show? Ich setze ihm die Theorie von der anderen Belastung auseinander, Georg wirkt niiicht wirklich überzeugt.  Ich finde es genial. Doch zurück zum Text.

Durstig bin ich, da hilft mal wieder nichts. Jürgen, der seinen 48h Lauf für beendet erklärt, meint, ich würde zu viel süße Sachen trinken. Ich betrachte Jürgens bereits leicht gerötetes unteres Schienbein, frage mich, ob sich wohl mein Schienbein melden wird, das beim Isarlauf nach 95 km so weh tat, das ich aufgeben musste, und halte mich auf Jürgens Rat hin ans alkoholfreie Bier.

Am einen Arm brennt es ein wenig. Scheint, als reibt der Arm an der Naht von meinem Top. Da heißt es nicht lange warten sondern handeln, ich reibe großzügig Vaseline drauf. An der Strecke taucht Andreas Butz auf, ein weiteres Schienbein-Opfer der Isar. Ich bleibe stehen und wir erkundigen uns gegenseitig nach dem Zustand unserer unteren Extremitäten.

Mit den ganzen Pausen komme ich nicht mehr recht in Gang. Die Beine werden immer schwerer die Lustlosigkeit immer größer. 68 km. Erst mal Abendessen: Tortellini mit einer Karottensauce und Sonnenblumenkernen. Und dann eine kleine Pause im Zelt?

Längelang hinlegen tut gut. Oh je, in was für ein Loch bin ich denn da reingelaufen? Der Gedanke, jetzt einfach zu schlafen bis morgen um 12 Uhr ist unglaublich verführerisch. Der Preis für die Rennerei vorhin? Aber bevor ich hier so einfach einschlafe, wäre sicher eine Dusche angezeigt. Noch ist es draußen halbwegs hell, ich rapple mich auf, „darf“ ja gleich nachher abliegen, nehme meine Sachen und wandere zum Tennisclub, nicht ohne meinem  Zähler, die dritte Schicht ist dran, zu sagen, dass ich eine Pause mache. Du hast schon eine Pause gemacht, sagt er. 25 min. für die letzte Runde. Äh, ja.

Halb zehn. Unter der Dusche geschieht ein Wunder. Meine harten, müden Oberschenkel fühlen sich wieder locker an. Nein, ich habe nicht stundenlang heißes Wasser drüber laufen lassen, nur gründlich geduscht. Das Salz und den Dreck des heißen Tages abzuspülen ist herrlich. Und vielen Gängen aufs Dixi-Klo standen wenig Gelegenheiten zum Händewaschen gegenüber...

Ich schlüpfe in frische Sachen, Shirt mit Ärmel, die leicht aufgeriebene Stelle am Arm hat sich damit auch erledigt und bringe die Waschsachen zurück. Jetzt ruhen? Nein!

Ich krame meinen mp3-Player heraus, und los geht’s mit den Sachen, die ich öfters beim laufen höre. „Wie ein Pawlowscher Hund!“ sage ich nach einer Runde zu Sabine Weiss, die zum zuschauen kam und mit Jürgen zusammen vor dessen Zelt am Streckenrand sitzt, über meine Reaktion auf die „Laufmusik“. Ich werfe den beiden noch mein Fleece zu, das ich meinte, anziehen zu müssen und dann bin ich nicht mehr zu bremsen.

Es wird rasch dunkel und die Nacht gehört mir! Von den anderen kriege ich wenig mit, Ohren sind zugestöpselt aber die wachsende Begeisterung bei den Zählern entgeht mir nicht. Einige Runden habe ich einen Schatten an meiner Schulter. Es ist Stefan Wäschle, ein 48er der sich offensichtlich ein bisschen von mir ziehen lässt. Bis ich ihm zu schnell werde! Zwischendurch hole ich sogar Ilona ein und renne einfach an ihr vorbei.

Das Ende diese Hochs kommt dann recht abrupt. Meine „Laufmusik“ ist zu Ende, 170 MB sind gehört und die Titelmelodie von „Lurchi im Zoo“ ist dann, als hätte jemand „aus“ gerufen. Es wird Zeit, dass mein Sohn Konrad einen eigenen mp3-Player kriegt. ;-)

92 km, ich stehe auf dem untersten Platz auf dem Leader-Board. Warum beflügelt mich das nicht, die 100 anzugehen? Den Platz zu halten? Ich weiß es nicht. Stattdessen esse ich etliche Pellkartoffeln mit viel Salz und lege mich diesmal wirklich hin.

Furchtbar! Meine Beine tun so weh, ich weiß gar nicht, wie ich liegen soll. Entnervt greife ich zu meiner Packung Voltaren, ein Urlaubsmitbringsel aus Italien, wo die nicht rezeptpflichtig sind. Natürlich wirkt das nicht gleich, trotzdem bin ich wohl eingeschlafen, denn plötzlich dämmert es draußen. Aufrappeln, wenigstens bei den Zählern mal schauen, wie spät es ist.

Es ist bereits viertel vor fünf und gehen geht erstaunlich gut. Die anderen schleichen zum größten Teil nur herum. Dagegen bin ich ja richtig flott! Und so marschiere ich Runde um Runde, trage zwischendurch die 100 km Fahne eine Runde und winke Angie zu, die mit der 150 km Fahne kommt.

Die Sri Chinmoys spielen wieder auf dem Metallophon und dazu wird gesungen. Mir fällt dazu nur ein Wort ein, Katzenmusik! Zwei vorbeikommende Radlerinnen rufen den Musikerinnen zu „Spielt mal was anderes! Seht ihr nicht, dass die euch alle einschlafen!“ Michael erzählt mir später, dass ein anderer Passant die Darbietung weniger charmant kommentierte: "Ihr habt ja eine Meise!"

Am anderen Ende der Strecke halten erfreulicherweise Ilonas Betreuerinnen, die sich die Dilledöppchen nennen, mit SWR1 und Tanzeinlagen dagegen. Dilledöppchen ist rheinischer Slang für „Kreisel“ und  wenn jemand sagt, „es läuft wie ein Dilledöppchen“, dann heißt das, es läuft  wie geschmiert.

Nach 10 km Marsch das nächste Tief. Vor Jürgens Zelt steht einladend ein verwaister Campingsessel mit Fußstütze. Hinsetzen. Mein Fleece anziehen, das dort von heute Nacht noch hängt. Ich schlafe sofort ein. Und werde wieder wach, nur um ein paar Meter weiter zu wandern und in meinen Schlafsack zu kriechen. Schlafen.

Es muss so gegen halb neun sein, als ich wieder aufwache. Na, dann also wieder los. Von den Zählern kommen aufmunternde Worte und ich denke, mit nur rund 100 km kann ich hier nicht aufhören. 120 km müssten doch noch drin sein! Also geht es weiter, Runde um Runde. Für Aufregung zwischendurch sorgt Else Bayer. Sie stürzt so unglücklich über eine der schiefen Platten, dass sie sich die Hand bricht.

Der Schluss ist dann richtig nett. In der voraussichtlich letzten Runde nimmt jeder eine Fahne mit, am Griff ein Kleber mit der Startnummer. Zum Schlusssignal werden die am Wegesrand in den Boden gesteckt. Neben mir steckt Gabriele Schwind ihre Fahne, neulich Siegerin in Schmiden beim 6h Lauf ist sie heute sehr zufrieden mit 168 km und dem dritten Platz. 

Ich habe doch noch 124 km geschafft, obwohl meine Wettkampfgestaltung eher merkwürdig, intervall-artig war. Liegt das an Köln? Wenn ein  Dilledöppchen nicht läuft, fällt es um! ;-)

Ute Pfaff

Nachtrag:  Mit 206 km hat Ilona gezeigt, dass ihre Vorbereitung mit dem Isarlauf so falsch nicht gewesen sein kann. 206 km reicht für die A-Norm des DLV, nächstes Jahr kann ihr keiner die Teilnahme an Meisterschaften verwehren. Eigentlich.
 
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