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32.
Rennsteiglauf 72,7 km
15.
Mai 2004
Ist
nicht schon alles hundert mal
geschrieben und tausend mal gesagt über diesen
legendären
Lauf auf dem Rennsteig, dem historischen Kammweg des Thüringer
Waldes? Und doch, wenn man das erste mal dabei ist, ist alles
ganz anders, ganz neu.
Irgendwann
letztes Jahr machte sich
„der
Rennsteig“ als Frühjahrshöhepunkt in meinem
Kopf breit. Zwar
werden dort etliche Läufe und Wanderstrecken
angeboten, aber
*der* Rennsteiglauf, ja, das ist für mich schon die lange
Strecke,
von Eisenach nach Schmiedefeld. Frisch vermessen ist sie derzeit 72,7
km lang.
Meine
Konzentration im Training wird
ab
Dezember auf „Umfang“ ausgelegt, 70 Wochenkilometer
sind es dann im
Schnitt bis Anfang Mai, dazu zur Vorbereitung außer normalen
langen Läufen, auch ein 50er, ein Marathon und ein ordentlich
hügeliger Landschaftsmarathon mit 51 km.
Zusätzlich
gerüstet werde ich
durch Hinweise rennsteigerfahrener Lauffreunde. Dass es, auch wenn es
in Eisenach (210 m über NN) ganz angenehm ist, auf den
Höhen
empfindlich kalt sein kann. Dass es *der* Kardinalfehler schlechthin
ist, auf den ersten 25 km hinauf auf den Inselsberg (916 m ü.
NN)
tempomässig zu überziehen. Dass die Angaben auf der
website
in der Liste zur Lage der Getränke- und Verpflegungsstellen
nicht
stimmen. Und nicht zuletzt ist es spätestens bei Regen auch
gut zu
wissen, dass das Gepäck in Schmiedefeld ungeschützt
auf einer
Wiese gelagert wird.
Das
Tempo nicht zu überziehen, ist ein
guter Ratschlag. Doch welches Tempo kann ich auf dieser Strecke
anstreben? Wie umgehen mit der Länge und dem Höhenprofil?
Ein
Temporechner des Australiers
Paul Shields ergibt, gefüttert mit meiner Marathonbestzeit von
3:57 und den, bergauf und bergab,
2.479
Höhenmetern, eine Endzeit von 8:36.
Hm,
also 8:30, 7er Schnitt, sollte
das
nicht drin sein? Ein Freund macht mir eine Marschtabelle auf der Grundlage
seiner eigenen
Rennsteigerfahrungen und meiner gewünschten Endzeit.
Für jede
Getränke- oder Verpflegungsstelle und für die
markanten
Punkte Großer Inselsberg (916 m) und Großer
Beerberg
(Plänckners Aussicht 973 m) habe ich nun
Anhaltspunkte.
Am
Freitagabend wird bei der
Startnummernausgabe und bei der Kloßparty eifrigst der
Wetterbericht diskutiert, morgens Sonne mit einzelnen Wolken,
nachmittags eventuell Regen, das Festzelt ist laut und voll, die
Diskussion wird in kleinerer Runde in einer Innenstadtkneipe
fortgesetzt.
4 Uhr 15 –
Frühstück.
Was für eine Uhrzeit! Aber der Start für die
Supermarathon
genannte lange Strecke ist bereit um 6 Uhr. Da ist dann auch die Sonne
aufgegangen, auf dem Marktplatz noch ein Foto mit Gabi und Sabine
Weiß, trotz vorabendlicher Diskussion haben wir doch alle
ganz
was anderes an :-),
noch
ein Foto mit René
Strosny, dann
trennen sich am Start unsere Wege.
6
Uhr, Startschuss! Langsam setzen sich
die ca. 1.500 Läufer durch die Innenstadt in Bewegung, hinaus
durch’s Nikolaitor und dann auf die Straße Richtung
Wartburg.
Kopfsteinpflaster, wir verlassen die Straße zur Burg Richtung
Rennsteig, das Kopfsteinpflaster geht in Erde über.
Über der
Stadt hängt Dunst aber die Sonne scheint, das könnte
ja sogar
richtig warm werden heute.
In
einer dichten Schlange zieht das Läuferfeld dahin, an
nennenswerten Steigungen gehen viele, andere kommen von hinten
vorbeigerannt. Kilometermarkierungen gibt es nur
alle 5 km, ich
schwimme anfangs total, was das Tempo angeht. An der ersten
Getränkestelle dann stelle ich fest, leicht hinter dem Plan.
Obendrein sind die Becher für Wasser ausgegangen, wir kriegen
Flaschen in die Hand gedrückt. Das geht ja gut los!
Kurz nach der
Getränkestelle biegen
wir an der Hohen Sonne auf den Rennsteig ein. Durch Laubwälder
geht es auf zumeist geschotterten Waldwegen immer höher
hinauf.
Die Sonnenstrahlen zwischen den Bäumen verbreiten zauberhafte
Stimmung.
Foto: Gabi Leidner
Schon die erste Verpflegungsstelle
bietet den berühmt-berüchtigten Schleim, an dem sich
die
Geister scheiden. Ich mag Porridge und Haferbrei, warum sollte
Haferschleim nicht schmecken? Der Schleim ist warm und mir schmeckt er
richtig gut. Ich nehme gleich noch einen zweiten Becher.
Gestärkt
geht es weiter hinauf, schon kurz nach der Verpflegungsstelle gibt es
wieder Getränke. Ein Helfer am Wegesrand ruft mir zu
„88. Frau!
Willkommen am Dreiherrenstein!“ Ich vergesse ganz, die
Zwischenzeit zu
nehmen, nehme stattdessen zwei Becher Tee und
„erstürme“ nun den
Inselsberg. Hier böte sich ein weiter Ausblick
über’s Land,
doch keiner nimmt sich die Zeit. Ich bin zwei Minuten vor der
Marschtabelle und denke, das ist sicher OK so. Noch nie sind drei
Stunden laufen so schnell und locker vorbei gegangen.
Nach dem Gipfel geht es wieder steil
hinunter. Gespräche mit anderen Läufern ergeben sich.
Mein
Nachbar fragt mich, was ich denn vor habe. Als ich von meinen erhofften
8:30 erzähle, fragt ein anderer „Dann
läufst du Marathon in
3:30?“ Nein, knapp unter vier! Er meint, dann würde
ich auch die
8:30 nicht schaffen. Ich wende ein, dass ich immerhin auch schon mal 55
km in 6 Stunden gelaufen bin. Auch das, befindet er, reicht nicht
für 8:30. Na gut, soll er zweifeln, im Moment liege ich jedoch
gut
in der Zeit.
Bei km 30 lerne ich Kurt kennen, mit
dem
ich dann bis ins Ziel zusammen laufe. Er erzählt vom
Jungfrau-Marathon, von Biel und Davos, wir überholen jetzt
viele
Wanderer, die von Schnepfenthal 35 km bis Oberhof marschieren, die Zeit
vergeht schnell. Ebertswiese, mehr als die halbe Strecke ist geschafft,
eine große Verpflegungsstelle. Hier werden wir von einem
Jagdhornbläser begrüßt, es gibt den
„Suppe“ genannten
berühmten Heidelbeerschleim, lecker!, und belegte Brote. Und
wer’s
verträgt kriegt Würstchen. Da greifen eher die
Wanderer zu.
Ein Anstieg nach der Versorgung kommt gelegen, es wird gegangen, das
Essen kann sich setzen.
Ortsnamen wie „Neue
Ausspanne“ bedeuten hier
immer eines: Gleich wird’s steil, gleich wird gegangen.
Trotzdem atme
ich so langsam immer tiefer, die Beine werden schwer, die Oberschenkel
hart. Die Gespräche werden weniger, längst hat sich
die
Läuferschar weit auseinander gezogen und alle scheinen mit
sich
selbst beschäftigt.
Ich bin einfach nur froh, dass ich
mich
nicht von Manfred Riedel überreden ließ, schon
dieses Jahr
in Biel 100 km zu laufen, fühle in meine bleischweren Beine
hinein
und überlege, ob das wohl auch wieder besser wird.
Gustav-Freytag-Stein, 51,2 km, fast 6 Stunden. Bei der Harzquerung
neulich bin ich das in 5:36 ohne große Anstrengung gelaufen.
Ist
die Strecke dort zu kurz? Oder ist das hier so viel schwerer? Angeblich
kommen und gehen solche Tiefpunkte. Ab sofort trinke ich Cola,
vielleicht hilft das ja.
Warum auch immer, es wird
tatsächlich in jeder Hinsicht wieder besser! Statt
Vogelgezwitscher kündet sich mit Musik der Versorgungspunkt
Grenzadler an. Hier wird die Zwischenzeit genommen, Matten liegen auf
der Wiese, die Elektronik piepst, man könnte auch offiziell
aussteigen.
Kein Gedanke an aussteigen, es ist
20
Minuten nach zwölf, ich nehme einen Becher
Brühe, Bouillon mit kleinen Nüdelchen,
zum „Mittagessen“. Nur noch 18 km! Kurt
überlegt, ob die wohl in
zwei Stunden zu schaffen wären. Normalerweise jederzeit, aber
hier
und jetzt? Ich hab, zumindest was mich angeht, so meine
Zweifel.
Eine höhere Erhebung wird noch überwunden, dann zieht
der
Rennsteig über die neue
Fußgängerbrücke bei
Oberhof und langsam aber sicher hinauf zum höchsten Punkt der
Strecke. Vorher gibt es noch was zu trinken, Suhler Ausspanne! Und dann
ist es gar nicht mehr weit hinauf zu Plänckners Aussicht. Von
hier
(973 m) geht es nach Schmiedefeld (711 m) eigentlich nur noch hinab.
Uneigentlich kommt natürlich noch der eine oder andere
Zwischenanstieg.
Die Wege sind teilweise sehr
ausgewaschen und uneben, auf den Bergabstücken spüre
ich mein
linkes Knie. Das hat sich in den letzen Wochen ab
und zu
bemerkbar gemacht, hoffentlich wird das nicht schlimmer. Zur
Schmücke hinunter geht es über eine völlig
unebene
Wiese. Das Knie tut richtig weh. Ich stolpere hinter Kurt her und
versuche, irgendwie mehr mit dem rechten Bein aufzufangen. Ausgerechnet
jetzt, wo sich die Oberschenkel wieder gut anfühlen, wo es nur
noch hinunter geht! Ich laufe gern bergab, ich könnte noch ein
bisschen Zeit gut machen. Aber so?
Glücklicherweise sind die
Wege
jetzt besser, ich achte darauf, sauber zu laufen. Tatsächlich
fühlt sich das Knie besser an, wir lassen es laufen. Am
letzten
Getränkepunkt ist die Cola alle, Bier wird dafür
angeboten.
Ach nein, das spare ich mir für’s Ziel auf, eine
Flasche
Köstritzer Schwarzbier gibt's für jeden Finisher.
>br>
Wir verlieren schnell an
Höhe.
Erst kurz vor Schmiedefeld dann das km 70 Schild.
Kann das
sein? Waren wir so langsam? Nein, das Ding steht sicher falsch!
Tatsächlich steht kurz danach das km 20 Schild des
Halbmarathons,
so passt das! Auf ungepflasterten Wegen geht es durch den Ort,
Zuschauer stehen am Weg, rufen „noch 300 m“ und
dann beginnt schon der
Zieleinlaufkanal. Ich stoppe 8:26:17.
Ja klasse! Ich freue mich sehr, dass
das
so gut hingehauen hat. Aber eines ist mir auch klar, allein durch
besseres pacing werde ich hier meine Zeit nie verbessern.
Dafür
war es schon dieses mal zu gut. ;-)
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