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„Marathon? Ja Schiiissdräkk!“

21. Maratona del Ticino
9. November 2003

Der nicht mehr ganz nüchterne Mann findet befremdlich, was die Spaghettiesser am Nebentisch morgen so vorhaben. Er wusste gar nicht, dass es hier einen Marathon gibt. Nun ja, ist ja auch erst das 21. Mal! Ein bisschen mehr will er aber doch wissen. „Wie lange brauchscht denn da?“ Ich antworte, dass ich ungefähr vier Stunden brauche. „Vier Stunden?“ Er zieht an seiner Zigarette und schaut vor sich hin. „VIIIIIIIIER Stunden? Ja geht das nüt schnäller?“

Äh, zu diesem Zeitpunkt rechne ich eigentlich eher mit „langsamer“. Es hat den ganzen Tag geregnet, der Regen hat sich nachmittags in Schnee verwandelt, ein riesiger Schneepflug ist ausgerückt Richtung Verzasca-Tal. So hatte ich mir einen Marathon Anfang November auf der Alpensüdseite aber nicht vorgestellt! Doch alle beruhigen, für den Sonntag seien zwar dichte Wolken aber kein Regen vorhergesagt, 10 – 11°.

Am Sonntag zeigt sich, der Wettergott ist auf Seiten der Läufer. Das Wetter ist tatsächlich so wie angekündigt. Die Kombination kurz-kurz scheint zwar im ersten Moment ein wenig mutig, aber der Tessin-Marathon ist durch seine Grösse, oder eher die mangelnde Grösse, ein Marathon der kurzen Wege. In der aussergewöhnlich schönen Sporthalle gibt es Umkleidemöglichkeiten, Schliessfächer sind vorhanden, es kann im Warmen gewartet werden, 20 Schritte sind’s zum Start.

Doch zuerst sind die Halbmarathoni dran. Diese Strecke erfreut sich deutlich grösserer Beliebtheit, 1109 Starter in drei Klassen, Elite, A (max. 1:30) und B werden im 10 Minuten Abstand ab 9:00 Uhr auf den Weg geschickt. Danach wird es ruhig. Denn die Bedingungen für die Marathoni sind knallhart. Zwei Runden sind zu laufen, in der Magadino-Ebene und entlang des Ufers des Lago Maggiore, um 10 Uhr ist Start für den Marathon, um 14:30 Uhr ist Schluss! Nur 262 Läuferinnen und Läufer kommen am Ende in die Wertung.

Wir werden zuerst ein Stück Richtung Norden (Generalrichtung Bellinzona) geschickt, die Feldwege zieren vom gestrigen Dauerregen noch grosse Pfützen. Dann geht es am Startgelände vorbei an den See und auf schönen Uferwegen über Minusio und Muralto nach Locarno, dort wird eine Ehrenrunde gedreht und zurück geht es nach Tenero, durch das spätere Ziel und hinaus, das Ganze noch einmal.

Ich möchte gleichmässig laufen, möglichst schnell mein Tempo finden. Die Markierung für km 1 übersehe ich dann gleich mal, bei zwei stelle ich fest, ein wenig zu schnell. Das muss bald korrigiert werden, denn wie in Zürich gibt es auch hier nur km-Markierung von 1 bis 5 und dann erst wieder alle 5 Kilometer.

„Das wird einsam“ meinte Frank im Vorfeld, als wir uns samstags mal beim Lauftreff über den anstehenden Marathon unterhalten haben. Ganz so einsam ist es dann aber doch nicht. Zuerst beobachte ich zwei junge Asiaten, die untereinander bestes Schwyzerdütsch sprechen. Ich überhole die beiden, dann rennen sie wieder an mir vorbei, ich überhole wieder, sie kommen wieder flott von hinten. Ob das gut geht?

Bei km 10 habe ich einen vor mir ins Auge gefasst. Er läuft ziemlich gleichmässig und er läuft locker. Ausserdem hat ein leuchtend gelbes Shirt an. Ihm werde ich versuchen zu folgen.

Wir laufen jetzt das erst mal am Lago Maggiore entlang nach Locarno hinein, viele “Halbe“ und die Spitze des Marathonfeldes kommen entgegen. Polizisten und Feuerwehrleute halten uns den Weg frei, rufe „Forza!“ und klatschen auch mal. Die Spaziergänger aber interessieren sich praktisch nicht für uns. Noch vor km 15 überhole ich das Besenmotorrad der Halbmarathoni. Die letzte Läuferin kriegt kaum die Schuhe vom Pflaster, der Polizist spielt auf seinem Motorrad heftig mit Gas und Kupplung, damit das Ding weder ausgeht noch umkippt. Immerhin hat das Schlusslicht ca. 1h50 bis km 13 gebraucht! Dann geht es schon wieder zurück.

Bei km 20 befinde ich, dass sich das in Zürich zu diesem Punkt der Strecke lockerer angefühlt hat, bin gespannt wie es sein wird, das Tempo zu halten. Halten reicht eigentlich, als wir durch’s spätere Ziel laufen bin ich knapp unter zwei Stunden. Dann überhole ich mal wieder die beiden asiatischen Schweizer, die mir am Anfang durch ihre intervallartige Tempogestaltung aufgefallen sind. Es soll das letzte mal sein, ich sehe sie dann nur noch mal als ich schon Richtung Ziel laufe, da müssen die beiden noch mal nach Locarno und sehen nicht mehr ganz so fröhlich aus.

Ganz allgemein ist das Niveau aber sehr gut, da wird kaum irgendwo gegangen, der knappe Zielschluss zeigt Wirkung. Am Ende bleiben nur 14 Männer und 4 Frauen (von den gewerteten Läufern) über 4 Stunden. So muss das früher bei den Marathons bei uns auch gewesen sein. Und ganz „stilecht“ gibt es bei den vielen Verpflegungspunkten Orangen- und Zitronenschnitze.

Gesellschaft habe ich auch, eine Welschschweizerin, die schon eine ganze Zeit hinter mir läuft, läuft jetzt neben mir. Das „Tempo halten“ klappt ganz gut, zwischen km 30 und 35 dann spüre ich den Anflug eines Durchhängers, die Beine werden schwer. Wie war das gleich in dem Buch, in dem ich gestern noch ein bisschen gelesen habe? Im Zweifelsfall ein bisschen anziehen, um andere Muskeln zu beanspruchen? Ich konzentriere mich auf meinen Laufstil und auf den „Hasen“ in gelb natürlich und tatsächlich wird 30-35 mein zweitschnellster 10er split. Vielen Dank, Hal Higdon!

Schon verlassen wir Locarno wieder, meine Begleiterin zieht so langsam davon und ich laufe auf den Mann in gelb auf. Wir unterhalten uns ein wenig. So locker wie der läuft frage ich ihn, ob das heute nur ein Trainingslauf für ihn sei. Er meint, er bleibe gerne 5 Minuten unter seine Möglichkeiten, der Genuss sei einfach grösser. Bei km 40 dann ziehe ich ihm davon, das Los der Hasen. ;-) Von der ersten Runde sind mir die letzten 2,2 km ja schon bekannt, nicht schlecht, so ein Marathon in zwei Runden, jetzt noch mal volle Konzentration!

Ja, es ging doch ein wenig „schnäller“ als VIIIIER Stunden, 3:57:19 zeigt meine Uhr.
Geschafft!
 
  © 2005 · Ute Pfaff · Emailemail senden