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Always Ultra?

Waldhessenlauf
30. März 2003

Nun habe ich also auch mal Ultra-Luft geschnuppert. Ultra, das ist nach Definition alles, was länger ist als Marathondistanz, länger also als 42,195 km.

Gabi Leidner, meine Frankfurter Lauffreundin, hatte mich und weitere laufende Freunde anlässlich ihres Geburtstags zu ihrem ersten 6-Stunden-Lauf eingeladen. Das fand ich nicht nur eine witzige Art, Geburtstag zu feiern, zwei Wochen vor Zürich war das für mich auch DIE Gelegenheit, meinen letzten langen Trainingslauf unter besten Bedingungen zu absolvieren, also das angenehme mit dem angenehmen zu verbinden. 

6-Stunden-Lauf, ja was ist denn das? Aus organisatorischen Gründen wird ‚sowas’ auf einem Rundkurs gelaufen, alle starten gemeinsam, Rundenzähler registrieren die Runden der Läufer, kurz vor Schluss erhalten alle ein Fähnchen mit ihrer Startnummer und beim Ertönen der Schlussfanfare nach exakt 6 Stunden bleibt man stehen und steckt das Fähnchen an den Wegesrand, damit nachgemessen werden kann, wie weit man auf der letzten Runde kam.

Was man während der 6 Stunden macht, bleibt jedem selbst überlassen. Von durchlaufen bis nach einer gewissen Zeit aufhören, zwischendurch Päuschen machen, gehen, stehen, sitzen, liegen, alles ist möglich und erlaubt, ganz nach Belieben und Können.

Unser 6-Stunden-Lauf fand im Schlosspark von Rotenburg an der Fulda statt, also noch ein nettes Stück von Gabis Heimat entfernt. Trotz frühem zu-Bett-gehen am Samstagabend nach einer leckeren Henkersmahlzeit, Nudeln, klar!!, klingelte der Wecker deshalb doch reichlich zeitig, und just am Sonntag wurde obendrein die Uhr auf Sommerzeit umgestellt, 6 Uhr war eigentlich 5 Uhr...

Für Verpflegung war selbst zu sorgen, für unsere Verpflegung sorgte das Geburtstagskind persönlich und so wurden am Sonntagmorgen Getränke, Tische, Campingstühle, Kuchen, Kekse und Kohlenhydratgel eingepackt und in Rotenburg wieder ausgeladen und am Streckenrand aufgebaut. Das Helferteam und die anderen Läufer staunten nicht  schlecht, als wir unter anderem einen Kasten Weizenbier anschleppten.

Startnummern waren abzuholen und die Zeit bis zum Start um 10 Uhr verging im Flug. Schnell noch die Team-Shirts verteilt! Gabi hatte uns unter dem Mannschaftsnamen ‚Gabis Mit-Leidner Runners’ angemeldet und wir hatten als Überraschung für Gabi T-Shirts entworfen und bedrucken lassen, eines natürlich auch für Gabi.

Teamkollege Stephan ‚Isy’ Isringhausen-Bley, in der Szene nicht zuletzt dank seiner website www.steppenhahn.de bestens bekannt, war in den vergangenen Tagen zu Fuss aus Bochum ‚angereist’! Er gönnte sich vor dem Start noch eine selbstgedrehte Zigarette und nahm den Lauf ansonsten recht ‚isy’.

Wir stellten uns alle ‚unserem’ jeweiligen Rundenzähler vor („Hallo Dietrich, ich bin Ute, Startnummer 56“), jeder Zähler betreute 10 Startnummern und schon ertönte die Startfanfare. 37 Teilnehmer liefen los  auf dem 1145 m langen Rundkurs durch den kleinen idyllischen Schlosspark, hinaus, an der Fulda entlang, quer durch den Schlosshof und wieder zurück.

Sabine, eine weitere Mit-Leidnerin wollte auch nur drei Stunden laufen und da wir gleiche Tempovorstellungen hatten, liefen wir fast die gesamte Zeit zusammen. Morgens war es noch diesig und ein bisschen frisch, doch bald schon kam die Sonne raus und es flogen Handschuhe, Unterziehshirts und Unterhemden in alle Richtungen.

So ein 6-Stunden-Lauf ist eine gesellige Sache. Das Tempo ist nicht so hoch, für Gespräche bestens geeignet und man überholt immer wieder die anderen Läufer oder wird überholt. Wir Mit-Leidner in unseren gelben T-Shirts waren nach kurzer Zeit bekannt wie die bunten Hunde, Fragen nach dem woher und weshalb wurden gestellt und beantwortet.

Mehr und mehr Spaziergänger tauchten auf, teilweise recht irritiert vom Treiben im Schlosspark. Wie, die laufen da sechs Stunden lang? Immer im Kreis?? Mancher konnte es kaum fassen.

Bei den Rundenzählern wurde das ‚Leader Board’ aufgestellt, worauf vermerkt ist, wer gerade führt und wie viele Runden jeweils schon gelaufen wurden. Zwischendurch tauchten auch Sabine und ich unter den fünf besten Frauen auf. Aber natürlich, wir mussten unser Tempo ja nur stark 3 Stunden durchhalten.

Nachdem ich nach 3 Stunden 5 Minuten und 58 Sekunden mein persönliches Ziel erreicht hatte, 27 Runden also 30,915 km in einem Tempo von 6 min je km, meldete ich mich wie sich das gehört bei meinem Rundenzähler erst mal ab und plünderte dann das Geburtstagsbuffet.

Auf einem der Campingstühle postiert, konnte ich nun das vorbeidefilierende Feld so richtig in Augenschein nehmen. Von lehrbuchmässiger Laufhaltung bis zu Erscheinungen, bei denen es jedem Laufschuhberater die Videokamera zerreissen würde, war alles dabei.

Mit fortschreitender Zeit war dann auch Unterstützung, auf deutsch ‚support’ für die weiterhin laufenden Mit-Leidner und die Leidnerin persönlich angesagt. Ein halber Becher Karamalz für Gabi? Ein nasser Schwamm für Michael? Bitteschön! Und der Nachbar, der seine Sachen direkt neben uns platziert hatte und ebenfalls Geburtstag hatte, kriegte natürlich auch was ab, etwas Cola und ein TUC für Hans.

Lange führt mit Michael einer ‚von uns’ bis er 45 Minuten vor Schluss dann doch überholt wurde. Und der Abstand wurde auch zusehends grösser. Schade, wäre zu schön gewesen...

Kurz vor Schluss meldete ich mich wieder beim Rundenzähler an, her mit meinem Fähnchen, das Ende will ich auch miterleben! Und dann geschah es. Über die Schlossparkmauer erspähe ich den führenden Läufer, den sicheren Sieger. Aber er sitzt auf dem Boden! Er sitzt und hat sein Fähnchen schon gesteckt, einige Minuten vor Schluss! Was ist denn da los? Auch als Michael an ihm vorbeiläuft, rührt er sich nicht. Später stellt sich heraus, er hatte massive Kreislaufprobleme, er konnte einfach nicht mehr. Mit nur 327 m Vorsprung bei insgesamt 70,793 km streicht Michael doch noch den Sieg ein.

Wenig später ertönt endlich die von denen, die die ganze Zeit liefen heiss ersehnte Schlussfanfare. Stehenbleiben, Fahne stecken, langsam zurückwandern. Mit meinen 31,863 km werde ich nicht mal Letzte, ich lande auf dem 34. Platz.

Jetzt machen sich alle über die Getränke her. Karamalz fliesst in Strömen, auch Weizenbier wird gern getrunken. Eine Stunde nach Schluss ruft ein warmes Abendessen und die Siegerehrung die frisch geduscht Läuferschar dann in die angrenzende Jugendherberge.

Ich stelle fest, es muss sicher nicht immer Ultra sein aber Ultra-Luft ist hochinfektiös.
 
  © 2005 · Ute Pfaff · Emailemail senden